Review - Kafka am Strand
Die Flucht vor dem eigenen Schicksal
„Mein fünfzehnter Geburtstag erscheint mir als ein passender
Zeitpunkt für meine Flucht. Davor ist es zu früh und danach vielleicht zu
spät.“ So Kafka Tamura, nachdem er beschlossen hat von zu Hause abzuhauen.
Der, oft mit Hermann Hesse verglichene, japanische Kultautor
Haruki Murakami beschreibt in seinem Roman „Kafka am Strand“, den Weg des
einsamen, unverstandenen Jungen, der auszieht sich selbst zu finden und am Ende geläutert zurückkehrt.
Doch ist es kein klassischer Entwicklungsroman, eher eine
moderne Interpretation der griechischen Tragödie: Die Prophezeiung, er werde
wie Ödipus seinen Vater umbringen und mit Mutter und Schwester eine intimere
Beziehung eingehen, sowie die Entfremdung von der Bezugspeson, hier in Gestalt
des Vaters. Insgesamt gesehen scheint der Jüngling bereits intelligenter,
erfahrener als das Familienoberhaupt.
Der Erzähler gewährt Einblick in die Gedankenwelt des jungen
Ausreißers, der durch Selbstreflexion den Sinn des Lebens für sich zu erschießen
hofft. Mittels einer einfachen, vieldeutigen Bildsprache werden mehrere
Bedeutungs- und Handlungsebenen aufeinander bezogen, durch diese bestechende
Einfachheit der Sprache mangelt es dem Werk nicht an Einfühlungsvermögen für
die Situation des Jungen. Japanische Kultur, verbunden mit europäischen
Kulturinhalten wird durch beinahe kafkaesken Surrealismus und beispielsweise
der Name des Protagonisten vermittelt. Schon Franz Kafka selbst bemerkte: „Nur
so kann geschrieben werden, nur in einem solchen Zusammenhang, mit solcher
vollständigen Öffnung des Leibes und der Seele.“ Scheinbar normale Menschen
erleben etwas Außergewöhnliches und Rätselhaftes und ebendies macht das Werk
trotz (oder eben wegen) sexueller Anspielungen und einer beinahe unverschämten Direktheit
beflügelt das Buch die Phantasie des Lesers, macht betroffen und stimmt
nachdenklich, nicht nur im Bezug auf den moralischen Wertewandel der
Gesellschaft, sondern auch entsprechend eigener individueller Erfahrungen. Und
seien wir ehrlich: Wie oft scheint Flucht, die leichtere Lösung zu sein?
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