Das Theater ist tot.




Eine Kulturinstitution verstirbt nach langer Krankheit im Alter von 2413 Jahren.

Unterhaltsam, bewegend aber auch lehrreich, kathartisch, aktuell, das Theater lies die Dinge nie einfach nur sein. Es mischte sich ein, spaltete die Nation und erfand sich dabei stets neu. Dennoch zeigte es sich besorgt über seine eigenen Glaubensgrundsätze und Daseinsberechtigung bis sie zusammenbrachen und unter dem Druck seines wachen, rastlosen und kritischen Verstandes reformiert neu erblühte zu einem experimentellen post-modernen Gesamtkunstwerk.
Sehr wenige können sich im 21. Jahrhundert als Kulturinstitution bezeichnen, ohne sich dabei etwas lächerlich zu fühlen, das Theater bildete die Ausnahme. Geboren im 6. Jahrhundert vor Christus in Griechenland erlebte es einen radikalen Aufstieg und wurde zur internationalen Erfolgsgeschichte. Der Kosmopolit arbeitet sich aus bescheidenen religiösen Verhältnissen bis an die Spitze der Kultur-und Unterhaltungsindustrie. Für die Einen war es ein Sündenpfuhl von Laster, für die anderen moralisches Belehrungsmittel. Mal als Mitläufer der Mächtigen denunziert, mal als revolutionärer Dissident gefeiert, stand der politische Idealist an der Seite von Größen wie Friedrich Schiller und Berthold Brecht, William Shakespeare und Oskar Wilde, Jean Racine und Jean-Paul Sartre, Christopher Durang und Theresa Rebeck. Es ließ sich nicht in eine Schublade stecken und verweigerte sich Kritikern und Analysten zugleich. Seine Anhänger verehrten es als Tempel einer neuen Kulturrevolution war Abbild und Urbild einer utopischen Glanzwelt. Während seiner Blüte konnte es Massen verzaubern, in seinen Bann ziehen, sogar Aufstände schüren, es prägte die Gesellschaft und hielt ihr einen Spiegel vor. Zeitweise zensiert, verboten und zum Mittel politischer Machtdemonstration degradiert, stand die altehrwürdige Dame am Anfang des am Anfang des 21. Jahrhunderts vor seiner größten Herausforderung. Fernsehen, Internet und Kino machen ihr ihren Stern am Boulevard der Unterhaltungsgrößen streitig.
Die (un-)kritische Masse jedoch hat sich da bereits von ihrem einstigen Tempel abgewandt und frönt einem neuen Spleen. Neben Hollywood schien das Kulturheiligtum, elitär und abgehoben, fern vom Volk und seinen Belangen. Ein Besuch bei der alten Dame wird im besten Fall als eine Chance gesehen, dem langweiligen Schulalltag zu entgehen, im schlimmsten Fall als Pflichtübung für die pseudo-intellektuelle Klientel. Die indoktrinierte Facebook-Generation trägt die Wende hin zum experimentellen Kulturkauderwelsch nicht mit, Theater soll wie Kino sein, unterhalten und vor allem nicht zu kritisch mit der Gesellschaft ins Gericht gehen. Nun soll sie ihrem Volk, dass Kochshows, Reality TV, Germany’s next Wim verehrt und angesichts von stetig neuen Krisen und globalen Hiobsbotschaften auf ein happy ending lechzt, wieder näher kommen. Die alte Dame muss sich der Konsumgesellschaft anpassen, eine Horde von Presseagenten und Imageconsultants verpassen ihr eine Schlankheitskur und ein neues Facelift, modern, zeitnahe und vor allem konkurrenzfähig muss sie werden. Es sind nicht mehr nur die Kritiker, die den Aufstieg oder Fall einer Produktion bestimmen, es ist jene (un-)kritische Masse, die die Jahrhundertfrucht erlesener Gedanken frustriert und enttäuscht wie einen giftigen Apfel zurückweist, aus den Theatersälen verschwinden und mit ihr Urteil abgeben: „Und dafür habe ich jetzt Geld bezahlt“. Bereits zu Schillers Zeiten paralysierte die Mittelmäßigkeit das Publikums, das sich nur berieseln lässt. Das Hochgefühl verfratzt sich zu Verdruss und zurück bleibt ein Phantom, das den Tod mit glühender Fanale bekriegt und sich selbst unsterblich macht.
Theater ist tot, lang lebe das Theater.

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